Am Wochenende des 5. und 6. Mai haben wir – ca. 50 Beschäftigte aus NGOS – uns im Frankfurter Mousonturm zusammengefunden, um uns über die Verbesserung unserer Arbeitsbedingungen auszutauschen.
Wir arbeiten in der Demokratieförderung, der Bildung für nachhaltige Entwicklung, der Geflüchtetenunterstützung oder im Klimaschutz. Kolleg*innen aus kleinen Vereinen mit weniger als 10 Beschäftigten waren da und Kolleg*innen aus großen Organisationen mit mehr als 100 Arbeitnehmer*innen. Ganz unterschiedliche Arbeitskontexte also. Doch der gemeinsame Nenner steckt schon im Namen der Konferenz: Arbeiten bei den „Guten“. Denn wir arbeiten alle bei Organisationen, die dem selbst formulierten Anspruch nach die Welt zu einem besseren, gerechteren Ort machen wollen. Und die meisten Beschäftigen teilen dieses Selbstverständnis. Die Bedingungen, unter denen wir arbeiten stehen dem jedoch konträr entgegen und sind oft prekär. Sie reichen von Kettenbefristungen, entgrenzten Arbeitszeiten, geringer Bezahlung, keinerlei Tarifbindung bis zu mangelnder Verantwortungsübernahme durch Führungskräfte und Union-Busting. Spätestens auf unserer Konferenz ist uns ganz klar geworden: Wir leisten sinnstiftende Arbeit. Und wir müssen es trotzdem nicht akzeptieren, schlecht bezahlt, befristet und unter miesen Arbeitsbedigungen zu arbeiten!
- Öffentlich werden, Betriebsräte gründen und Konfrontation – ermutigende Beispiele aus der Organisierungspraxis
Wie man sich organisiert und sich gegen schlechte Arbeitsbedingungen wehrt, haben uns Kolleg*innen aus verschiedenen Betrieben gezeigt. Am ersten Abend der Konferenz haben sie uns von ermutigenden Erfahrungen aus ihren betrieblichen Organisierungsprozessen berichtet.
Die Beschäftigten des Anne Frank Zentrums in Berlin haben sich bereits 2018 einen Haustarifvertrag erkämpft. Nun gehen sie in die zweite Runde: der alte Tarifvertrag wurde gekündigt, die Tarifkommission verhandelt. Die Kolleg*innen wollen bessere Bezahlung, die Anerkennung von Sorgearbeit bei Entfristungsregelungen und Verbesserungen für die Freiberufler*innen erreichen. Ihr Erfolsrezept: früh und selbstbewusst an die Öffentlichkeit gehen und unermüdlich darauf hinweisen, dass das Eintreten für bessere Arbeitsbedingungen dem Einsatz für Demokratie und gegen Menschenfeindlichkeit nicht entgegen steht, sondern ihn überhaupt erst langfristig möglich macht. Den Kolleg*innen vom Anne Frank Zentrum war außerdem wichtig, dass sie sich statusübergreifend organisieren: Festangestellte und Freiberufler*innen, Reinigungskräfte und studentische Hilfskräfte kämpfen Seite an Seite für die Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen und lassen sich nicht spalten.
Nicht überall gibt es Betriebsräte und gut organisierte Betriebsgruppen. Interessensvertretungen werden bei vielen NGOs nicht als notwendig angesehen. Die Hierarchien sind vermeintlich flach und Betriebsräte werden als altmodisch angesehen. Zwei Kolleg*innen schilderten auf der Konferenz die internen Diskussionen. Denn für sie ist klar: es braucht mehr Mitbestimmung von Beschäftigten in ihren Betrieben. Bei einem Berliner Sozialunternehmen, das im Bereich Bildungs für nachhaltige Entwicklung unterwegs ist, wird es zunächst eine informelle Interessenvertretung sein. Was die Vertretung tun soll und wofür sie zuständig ist, bestimmen die Beschäftigten und der Arbeitgeber gemeinsam und partizipativ. Im Fall des Konfliktes mit dem Arbeitgeber ist es allerdings nicht möglich, rechtsverbindliche Konsequenzen zu ziehen, wie es für Betriebsräte auf Basis des Betriebsverfassungsgesetzes möglich ist. Kolleg*innen eines Bildungsträgers in Schleswig-Holstein gründen nach einigen Diskussionen deshalb nun einen Betriebsrat, obwohl sie vor einem Jahr auch noch eine informelle Interessensertretung bevorzugt haben.
Noch prekärer als bei „den Guten“ wird in der Lieferdienst-Branche gearbeitet. Von niedrigen Löhnen und den Rücken belastenden, viel zu schweren Rucksäcken wird immer wieder in der Presse berichtet. Betriebsrat P. von Lieferando [fragen] erzählte uns von eklatanten Arbeitsschutzmängeln: nicht sicherheitsgeprüfte Fahrräder, Kakerlaken in der Kaffeemschaschine, keinerlei Gefährdungsbeurteilungen, kein Betriebsarzt. Der Arbeitgeber wurde benachrichtigt und zeigte keine Reaktion. Der Betriebsrat wandte sich also an die Arbeitsschutzbehörde, die drohte den gesamten Laden zu schließen. Betriebsratsarbeit kann also auch konfrontativer sein. Und vor allem zeigt das Beispiel: Betriebsratsarbeit wirkt.
- Schlechte Arbeitsbedingungen nicht einfach aushalten – Tools zur Gegenwehr
In verschiedenen Workshops haben wir am zweiten Tag der Konferenz Instrumente an die Hand bekommen, um uns gegen schlechte Arbeitsbedingungen zu wehren.
Know your Rights – Arbeitsrecht kann individuell helfen
Mit der Rechtsanwältin Lea Welsch haben sich einige von uns mit den rechtlichen Rahmenbedingungen beschäftigt, die für uns als Beschäftigte gelten. Das Direktionsrecht des Arbeitgebers steht in der arbeitsrechtlichen Normenpyramide ganz unten. In einer Rangfolge steht das EU-Recht ganz oben, darauf folgt das Grundgesetz, Tarifverträge sowie auf betrieblicher Ebene Betriebsvereinbarungen. Das Günstigkeitsprinzip verweist darauf, dass zwischen Arbeitnehmer*in und Arbeitgeber*in ein Ungleichverhältnis vorliegt und legt demzufolge ein arbeitsrechtliches Schutzprinzip zugunsten der/der Beschäftigten fest. Das heißt, dass die Regelung gilt, die für die beschäftigte Person günstiger ist. Im Austausch untereinander kam auch das Thema Befristungen auf, da viele der Teilnehmenden aus NGOS kommen, in denen befristete Verträge gängige Praxis sind. Arbeitgeber*innen argumentieren hier gerne mit Projektfinanzierung. Dass Arbeitgeber*innen die Möglichkeit betriebsbedingter Kündigungen haben, wird dabei nicht erwähnt. Lea hat uns außerdem gute Tipps für Material und Vorlagen zu Betriebsvereinbarungen gegeben (z.B. zu Arbeitszeit).
Druck machen auf die Arbeitgeberin und Kolleg*innen mobilisieren – Organisierung im Betrieb
Im Workshop von ver.di Gewerkschaftssekretär André Pollmann haben wir diskutiert, wie man sich im Betrieb organisieren kann, zum Beispiel um einen Tarifvertrag zu erstreiten. Aus Erfahrung des Referenten und einiger Teilnehmer*innen haben sich folgende Strategien bewährt: Eine Umfrage im harten Kern des Betriebs, ob und zu welchen Konditionen sich die Beschäftigten einen Tarifvertrag wünschen würden, kann die Verhandlungspostionen mit Geschäftsführungen stärken. Öffentlichkeitsarbeit und aktive Aktionsgruppen, die hörbar und selbstbewusst den Verhandlungstag mit Trillerpfeifen und Westen begleiten, erhöhen den Druck auf die Geschäftsführungen. Eine starke Erzählung für die Öffentlichkeit kann zum Beispiel sein: „Unsere Organisation ist Vorbild für andere NGOs, wir erstreiten bessere Arbeitsbedingungen, das bedeutet Fortschritt.“ Wir haben uns darüber hinaus über die Vorteile von Branchentarifverträgen unterhalten. Die Existenz von Arbeitgeberverbänden können dabei als Verhandlungspartner sinnvoll sein. Wichtig bleibt jedoch: der Druck aus der Belegschaft muss dauerhaft aufrecht erhalten werden, damit Geschäftsführende den Druck „nach oben“ weitergeben.
Für das erfolgreiche Organizing haben wir in Gesprächen mit Kolleg*innen außerdem festgestellt, dass es gut ist zu betonen: der Konflikt ist schon da. Er ist in den unterschiedlichen Rollen angelegt (GF und Beschäftigte). Wir haben auch mitgenommen: wir müssen anfangen mit denen, die mutig sind und damit aufhören uns als „die Unruhestiftenden“ in die Ecke stellen zu lassen.
Aktiv gegen Diskriminierung in der eigenen NGO
Im Workshop mit Manja Dimitra Kotsas sind wir ins Gespräch gekommen über Formen und Betroffenheit von Diskriminierung an unseren Arbeitsplätzen. Und wir sind uns über die häufig lückenhafte Diskriminierugssensibilität unserer Arbeitsplätze bewusst geworden. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz ist der rechtliche Rahmen, um gegen Diskriminierung vorzugehen. Manja hat uns gezeigt, dass das Gesetz absolut nicht ausreicht, um reale Ungleichbehandlung und Machtungleichgewichte zu beheben. Es ist allerdings ein guter Anfang, um überhaupt etwas in der Hand zu haben und Dinge rechtlich greifbar und behandelbar zu machen. Viele Diskriminierungsformen (wie zb. class) sind im AGG nicht abgedeckt – von Intersektionalität ganz zu schweigen. Das Gesetz ist reformbedüftig. Interessant für alle war noch einmal zu hören, dass die Arbeitgeberin dazu verpflichtet ist, eine AGG Stelle einzurichten.
- Und nun – wie gehts weiter?
Die Konferenz hat uns das Gefühl von Rückhalt, Solidarität, Stärkung, Reflexion und Absicherung gegeben. Viele von uns sind mit mehr Wissen, mehr Kontakten und mehr Energie in ihre Strukturen zurückgegangen. Und viele wünschen sich eine nächste Konferenz!
Es sind auch schon Ideen entstanden, wie es konkret weiter gehen kann. Definitiv mit mehr Kaffee (versprochen! :). Viele Teilnehmer*innen hatten den Wunsch, gemeinsame Forderungen oder fundierte inhaltliche Positionen zu erarbeiten. Und ver.di brachte die Idee ein, eine Art Intervision für NGO-BEschäftigte anzubieten – gemeinsam mit dem „Arbeiten bei den Guten“-Netzwerk. Einige Teilnehmende wünschten sich auch Perspektiven von Freiberufler*innen mehr einzubeziehen und Intersektionalität noch stärker mitzudenken. Wir nehmen die Ideen mit und haben Bock, weiter zu machen!
Zu Guter Letzt ein paar Fun Facts: Wir mussten den ganzen Tag auf Socken unterwegs sein, denn unser Konferenzraum ist im sonstigen Leben ein Tanzproberaum. Unsere Konferenz haben wir deshalb mit einem kleinen Sockenwettbewerb abgeschlossen: Wer hat die schönsten Socken an? Unser Maskottchen Karl, ein superniedlicher, aber wenig flauschiger Ballonhund, ging als Hauptgewinn am letzten Tag an die glückliche Gewinnerin vom Anne Frank Zentrum mit orange-glitzer-gestreiften Socken.
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